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AK NÖ-Fachtagung: Kritik an "Mindestsicherung neu"

ExpertInnen und InteressenvertreterInnen gegen geplante Einsparungen

Nikolaus Dimmel, Markus Hofmann, Christine Mayrhuber, Moderatorin Dorothea Brozek, Agnes Streissler, Franz Schellhorn
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Bei SozialrechtsexpertInnen und SozialarbeiterInnen stoßen die Regierungspläne für die "Mindestsicherung neu" und beim Arbeitslosengeld auf heftige Kritik. Das wurde bei der Fachtagung "Sozialstaat fairbessern" im ArbeitnehmerInnenzentrum St. Pölten auf Einladung der AK Niederösterreich und des Bachelor Studiengangs Soziale Arbeit der Fachhochschule St. Pölten deutlich. Kritik kam vielleicht überraschend auch von einer wirtschaftsnahen Interessenvertretung.

Einsparungen bei Mindestsicherung und Notstandshilfe lösen keine Probleme

Zumindest eines hat die Bundesregierung mit ihren Plänen zur "Mindestsicherung neu" geschafft: Betroffene, ExpertInnen, InteressenvertreterInnen und SozialarbeiterInnen hat sie mobilisiert. Im vollbesetzten Saal des ArbeitnehmerInnenzentrums St. Pölten der AK Niederösterreich zeigten sie sich einhellig in ihrer Ablehnung, die Notstandshilfe mit der Mindestsicherung zusammenzulegen. Nach Ansicht von Ökonomin Christine Mayrhuber (WIFO) würden Einsparungen bei Mindestsicherung und Notstandshilfe auch keine Probleme lösen. Zwar gebe es mehr Beschäftigte als je zuvor in Österreich – die Anzahl ihrer Arbeitsstunden bleibe aber gleich. Es gebe also strukturelle Probleme am Arbeitsmarkt. "Die können nicht gelöst werden, indem man Betroffenen die Sicherung kürzt."

Forderung: Kein Hartz IV für Österreich

Markus Hofmann vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) warnte, Hartz IV oder ähnliche Modelle nach Österreich zu exportieren. "Die Betroffenen fühlen sich von der gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen", schilderte er. Aus Hartz IV gebe es unter anderem wegen der harten Sanktionen für viele keinen Ausweg. Betroffen sich auch Menschen, die Arbeit haben: 1,1 Millionen ArbeitnehmerInnen haben ein so niedriges Einkommen, dass sie Leistungen aus Hartz IV zusätzlich zu ihrem Lohn beziehen müssen. "Darunter sind auch 200.000 Vollzeitbeschäftigte", schilderte Hofmann. Der Haupteffekt der Maßnahme: "Hartz IV war ein Instrument, um ArbeitnehmerInnen zu erpressen, auf Lohnerhöhungen zu verzichten."

Auch Agenda Austria skeptisch

Kritik an den Regierungsplänen kam sogar von der wirtschaftsnahen Agenda Austria, die an sich durchaus fordert, die Notstandshilfe abzuschaffen und Langzeitarbeitslose in die Bedarfsorientierte Mindestsicherung zu schicken. Agenda Austria-Chef Franz Schellhorn plädiert aber dafür, das reguläre Arbeitslosengeld deutlich zu erhöhen. Das fehle. Und die geplanten Kürzungen für Menschen ohne Deutschkenntnisse könnten die soziale Absicherung vernachlässigen, die die Agenda Austria fordert. "Das ist substantiell", sagte Schellhorn.

Für den Sozialpolitikexperten Nikolaus Dimmel von der Uni Salzburg geht die Diskussion ohnehin in die falsche Richtung. Man habe vergessen, dass ein funktionierender Sozialstaat unabdingbar für eine funktionierende Demokratie und eine funktionierende Marktwirtschaft sei. Hier übernehme der Staat Aufgaben, die einzelne UnternehmerInnen eben nicht erfüllen könnten.

 

Nutzen des Sozialstaats wieder in den Diskurs einbringen

"Die Frage ist, wie man den Nutzen des Sozialstaats wieder in den Diskurs einbringen kann", formulierte es der Professor. Um gleichzeitig etwas resignierend festzustellen: "Wir kommen mit Argumenten bei PolitikerInnen nicht durch."

Eines dieser oft vergessenen Argumente sind die Kosten: Der österreichische Sozialstaat koste netto etwas mehr als 23 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, rechnete Ökonomin Agnes Streissler von der GPA-djp vor. Das liegt nur leicht über dem EU-Durchschnitt. Auch bei den Pensionen müsse man sachlich diskutieren: "Heute kosten die öffentlichen Pensionen 13,8 Prozent des BIP, 2060 werden es nach Schätzungen der EU-Kommission 14,5 Prozent sein", so die Expertin.

Ein klares Plädoyer für einen starken Sozialstaat gab Gerda Schilcher ab, Vizepräisdentin der AK Niederösterreich: "Ein faires Sicherungssystem ist notwendig und wichtig, um möglichst vielen Menschen gerechte Chancen in unserer Gesellschaft zu geben."