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„Alle Daten erzählen eine Geschichte“

Statistiker und FH-Lektor Erich Neuwirth im Interview über seine Arbeit während der Pandemie

Erich Neuwirth spricht im FH Interview über die aktuellen Coronazahlen und die Kunst der Dateninterpretation
Copyright: Erich Neuwirth

Erich Neuwirth hat mit seinen täglichen Updates zu den Coronazahlen viel zum besseren Verständnis der Pandemie beigetragen.

An der FH St. Pölten unterrichtet er in den Fächern Grundlagen der Statistik und Angewandte Statistik und hat den Studiengang Data Science and Business Analytics mitentwickelt. Im Interview spricht er über die Kunst der Dateninterpretation.

Erich Neuwirth im Interview

Wie kam es zu ihrem Engagement rund um die Zahlen der Corona-Pandemie?

Auslöser war, dass mein Sohn mit seiner Familie in Deutschland lebt und ich die Situation in beiden Ländern vergleichen wollte.

Ich bin dann auf die John Hopkins University gestoßen, die ein sehr schönes Daten Repository mit sehr vielen Ländern hat und habe daraus zunächst ein paar Grafiken für Österreich und Deutschland erstellt. Das ist gewachsen und ich habe mir gedacht, es wird vielleicht nicht nur mich interessieren. Deshalb habe ich beschlossen, eine Website daraus zu machen. Und einige Zeit später bin ich auf die Idee gekommen, dass ich wahrscheinlich ein größeres Publikum erreiche, wenn ich es über Twitter spiele.

Wann war zum ersten Mal eine Resonanz auf Ihre Tweets spürbar?

Was ist der beste Push-Effekt in Österreich auf Twitter? Armin Wolf erwähnt einen. Das hat mir innerhalb von zwei Tagen 2.000 neue Follower gebracht.

Ich halte derzeit bei etwas über 28.000. Das ist, wie ich finde, für ein wissenschaftliches Thema viel. Mit Journalisten kann ich nicht mithalten, aber im wissenschaftlichen Bereich gibt es nicht viele, die mehr Follower haben. Es verdeutlicht das große Interesse an den Informationen.

Wie geht man nun richtig mit den aktuellen Zahlen um? Gerade auch im Hinblick auf die Fehler, die in der Analyse der Zahlen im vergangenen Jahr gemacht wurden.

Hoffentlich besser. Wir befinden uns aktuell in jener Zeitspanne, in der es im vorherigen Jahr zu einem exponentiellen Anstieg gekommen ist. Darauf müssen wir aufpassen. Derzeit gehen die Zahlen immer noch runter bzw. sind sie in Wien konstant.

Allerdings sind die Zahlen in den Altersgruppen 15–24 und 25–34 relativ hoch. Wir müssen also definitiv genauer auf einzelne Altersgruppen schauen. Von den Älteren kommt aufgrund der Impfung kaum mehr ein Beitrag zur Gesamtinzidenz.

Und inwiefern kann man jetzt zur Delta-Variante schon eine Prognose erstellen?

Da gibt es noch zu wenig Daten. Die Sequenzierungen der Tests aus anderen Ländern zeigen aber, dass sich die Delta Variante bald überall durchsetzen wird.

Sie haben immer wieder auf fehlende Daten aufmerksam gemacht. Warum hinkt Österreich hinterher?

Weil es auf der höchsten Managementebene offenbar Leute gegeben hat, die das nicht so wichtig gefunden haben. Alle Wissenschaftler*innen, die damit zu tun haben, hatten ein Schockerlebnis, als Clemens Martin Auer ein Interview gegeben hat und im Wesentlichen gesagt hat: "Die Wissenschaftler*innen können während der Pandemie nichts beitragen. Wenn alles vorbei ist, geben wir ihnen auch mehr Daten."

Ein derartig grobes Missverständnis dessen, was Wissenschaft leisten kann, ist schmerzhaft.

Was würde am meisten helfen?

Wenn es zu allen verfügbaren Daten auch konsistente Zeitreihen geben würde. Gerade bei den altersspezifischen Fallzahlen gibt es nur Zahlen vom aktuellen Tag, nicht die gesamte Geschichte. Es wäre wichtig, konsistente und aktuelle Zeitreihen zur Verfügung zu haben. Die Statistik Austria ist dafür die geeignetste Institution in Österreich. Die haben eine enorme Erfahrung, auch wie man Daten unter Wahrung des Datenschutzes zur Verfügung stellt. Die wurden bis vor kurzem noch nicht eingebunden, anscheinend bewegt sich da derzeit aber etwas. Warum man nicht von Anfang an gesagt hat, das gesamte Datenprojekt (zu Covid-19 Anm.) übergeben wir der Statistik Austria, verstehe ich bis heute nicht. 

Warum ist das Thema Statistik und Big Data so ein wichtiges Zukunftsfeld?

Weil es Unmengen an Daten gibt. In den 70er-Jahren war das Sammeln von Daten sehr mühsam, es gab kaum große Datenbestände. Daher konnte man als Statistiker*in nicht so viel über konkrete Entwicklungen sagen.

Da die Verwaltung und auch die Wissenschaft die Datenerfassung im Wesentlichen auf Computer umgestellt haben, gibt es nun reiche Bestände. Daten zu interpretieren ist aber nicht nur Wissenschaft, es ist auch ein Kunsthandwerk. Zu wissen, was in welchem Fall die richtige Methode ist, hat mit einem Gespür für Daten zu tun. Alle Daten erzählen eine Geschichte, aber sie erzählen diese Geschichte meist sehr leise. Und die Statistiker*innen sind die Leute, die den Daten besonders gut zuhören können.

Die Fähigkeit zu vermitteln, wie man den Daten zuhören kann, das sehe ich als meine Aufgabe. Data Science ist in meinen Augen mit Computer und Informatik angereicherte Statistik. Die Grundaufgabenstellung von Data Science und Statistik ist dieselbe, nur gab es Statistik schon, da war noch nicht viel los mit Computerauswertungen.

Wie kann man jungen Menschen eine Begeisterung für Statistik vermitteln und Lust auf die Arbeit mit Daten machen?

Was ich in meiner LV immer mache, ist Geschichten erzählen, in denen Wissen über die Daten zur Qualität von Entscheidungen beigetragen hat. Als Statistiker mische ich mich immer dann ein, wenn ich glaube, durch die Daten die Entscheidungsqualität und den Wissensstand verbessern zu können. Und ich bin lange genug Statistiker, dass ich da einige Fälle habe, wo man das relativ überzeugend dokumentieren kann.

Ein Beispiel ist der österreichische Nationalfonds für die Opfer des Nationalsozialismus. Da waren die Spielregeln so, dass man eigentlich erst auszahlen hätte können, nachdem alle Ansprüche geklärt waren. Und das war ein aufwändiger Prozess, und die betroffenen Leute waren schon sehr alt. Da wären einige in der Zwischenzeit schon gestorben. Daher habe ich als Statistiker eine Schätzung gemacht, wie viel das wären und dann hat es eine Vorauszahlung gegeben. Dadurch konnten Leute eine Entschädigung erhalten, die möglicherweise den Abschluss des Projekts und die Auszahlung gar nicht mehr miterlebt hätten. 

Danke für das spannende Interview!

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