Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein
Simon Tjoa von der FH St. Pölten und Stefan Fenz von der TU Wien sprechen über die nachhaltigen Potenziale der Digitalisierung.

Das aktuelle FH-Magazin future der FH St. Pölten widmet sich dem Thema nachhaltige Entwicklung. Im Folgenden ein Interview daraus mit zwei IT-Experten über smarte Landwirtschaft, digitale Häuslbauer und den freien Zugang zu Wissen.
Welchen Beitrag kann die Digitalisierung zur Nachhaltigkeit leisten?
Tjoa: Die Informations- und Kommunikationstechnologie ist vor allem ein Enabler für die Erreichung der Sustainable Developement Goals der United Nations (SDGs). Im Bereich der Mobilität können durch Car Sharing Konzepte und Smart Transportation die CO2 Emissionen und der Treibstoffverbrauch gesenkt werden. In der Bildung spielt Digitalisierung eine entscheidende Rolle, um Wissen und Information über das Internet für alle gleichermaßen zugänglich zu machen.
Fenz: Der Beitrag der Digitalisierung liegt zum einen in der Ressourcenschonung und zum anderen in der Optimierung bereits bestehender Prozesse und Abläufe. Das gilt für alle Bereiche: sei es in der Industrie, wo mit ein paar Prozent Effizienzsteigerung enorme Erträge erreicht werden, oder in der Landwirtschaft. Wenn alle verfügbaren Informationen und Rahmenparameter in eine Berechnung miteinbezogen werden, können gezielte Maßnahmen gesetzt und auf das Gießkannenprinzip verzichtet werden.
In welchem Bereich ist das Potenzial am größten? In welchem Bereich lässt sich das Potential besonders hervorheben?
Fenz: Durch den hohen Einsatz von Ressourcen in der Landwirtschaft besteht ein großes Optimierungspotenzial. Dabei geht es nicht nur um eine Steigerung der Erträge. Weniger Dünger bedeutet weniger Belastung für das Grundwasser. Weniger Einsatz schwerer Traktoren im Gegensatz zu drohnengesteuerten oder leichten autonomen Systemen bedeutet weniger Bodenverdichtung und somit bessere Bodengesundheit. Bessere Planung der Saatausbringungs- und Erntezeitpunkte bedeutet ein optimaleres Wirtschaften im Einklang mit den natürlichen Prozessen. Das kommt schlussendlich allen, den Menschen und der Natur, zugute.
Tjoa: Meiner Ansicht nach leistet die Digitalisierung bei der Erreichung der Sustainable Developement Goals „Bekämpfung von Hunger und Armut“ den größten Beitrag. Zum einen durch präzisere Verfahren in der Landwirtschaft, zum anderen durch Bildung und dem Ziel Information und Wissen für alle Menschen zugänglich zu machen. Letztlich bin ich aber überzeugt, dass keines der Ziele ohne den direkten oder indirekten Beitrag der Digitalisierung erreicht werden kann.
Was kann denn die Digitalisierung nicht leisten?
Tjoa: Digitalisierung verlangt nach Fachkräften und da haben wir derzeit einen großen Mangel. Wir brauchen Personen, die sich in der Digitalisierung und in einem der jeweiligen Fachbereiche, wie Landwirtschaft oder Bildung gut auskennen.
Fenz: Digitalisierung bedarf genauer Planung. Der Nutzen muss klar erkennbar sein, denn Digitalisierung um jeden Preis bringt nicht die erhofften Effizienzgewinne. Digitalisierung darf kein Selbstzweck sein.
Immer wieder wird über den Energiebedarf der Digitalisierung geredet. Was sind hier Herausforderungen und Lösungsansätze?
Fenz: Die Herausforderung besteht den Endenergiebedarf digitalisierter Prozesse möglichst gering und durch Verwendung von Ökostrom emissionsarm zu halten. Zum Beispiel bietet Cloud Computing durch Zentralisierung von Rechenkapazitäten die Möglichkeit entstandene Abwärme wirtschaftlich in Fernwärmenetze einzuspeisen.
Welche konkreten Projekte setzen sich momentan mit Digitalisierung und Nachhaltigkeit auseinander?
Tjoa: Der Analytics Bereich spielt definitiv eine wichtige Rolle. Prozessoptimierung und das Aufzeigen von ressourcensparenden Alternativen wird entscheidend sein, für die Erreichung der Nachhaltigkeitsziele.
Fenz: Wir arbeiten momentan intensiv im Bereich der energetischen Gebäudesanierung. Mit der Applikation Semergy erleichtern wir dem Nutzer Investitionsentscheidungen bezüglich Sanierung, verwendeten Baumaterialien und möglicher Komfortsteigerung zu treffen. Jeder Häuslbauer erhält damit die Möglichkeit, die ideale Bau- oder Sanierungsoption für sich zu finden, um seine Ziele, den angepeilten Ressourcenverbrauch, den Energieverbrauch plus die zur Verfügung stehenden Geldmittel optimal einzusetzen. Dies trägt zu einer nahhaltigen Bauweise, aber auch zu einer nachhaltigen Gebäudeinstandhaltung bei.
Stefan Fenz arbeitet am Institute of Software Technology & Interactive Systems der TU Wien
Simon Tjoa leitet den Studiengang Information Security an der FH St. Pölten
Interview: Jakob Leissing, FH St. Pölten