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Modularisierung ermöglicht Schwerpunktsetzung

Arlt.dialog #14. Marina Tomic Hensel im Gespräch

FH-Dozentin Marina Tomic Hensel
Copyright: Uwe Hensel

Marina Tomic Hensel lehrt am Department Soziales und ist Mitglied des Koordinationsteams der Lehrgänge Sozialpädagogik der FH St. Pölten. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in den Bereichen Sozialpädagogik, Soziale Arbeit, Gender Studies und Bildungswissenschaft.

Die Fachhochschule St. Pölten bietet eine komplette Ausbildung im Fach Sozialpädagogik auf Hochschulniveau. Was ist das Besondere an diesen Programmen?

Wir bieten Sozialpädagogik auf drei Ebenen an: Als akademischen Lehrgang, als Grundlage für das Bachelorstudium Social Work (in Kooperation mit der Saxion Hogeschool in Enschede (NL)) und als Masterlehrgang. Mit Blick auf die Ausbildungslandschaft in Österreich ist dieses vielfältige Angebot auf Hochschulebene schon allein etwas Besonderes.

Was die Ausbildung inhaltlich wertvoll macht, ist die Verbindung von Praxisorientierung auf der einen und Wissenschaft und Forschung auf der anderen Seite. Hier treffen zwei Lernkulturen aufeinander – die berufliche und die akademische, deren Vernetzung uns, glaube ich, ganz gut gelingt.

Dies ist auch deshalb möglich, weil wir viele engagierte Studierende haben, die gute, auch gesellschaftskritische Fragen stellen, deren Bearbeitung über die konkrete sozialpädagogische Praxis hinausgehen und dennoch für diese unglaublich wertvoll sind. Das gemeinsame mit- und voneinander Lernen sowie der Austausch auf Augenhöhe ist das, was ich als Dozentin hier am meisten schätze.

Das Feld, in dem Sozialpädagog*innen arbeiten, hat sich in den vergangenen Jahren deutlich erweitert. Was ist der Grund für diese Entwicklung?

Es ist ein Feld, welches klassischerweise mit „Betreuung von Kindern“ in Verbindung gebracht wird. Dies ist ein eher eingeschränktes Bild von Sozialpädagogik und entspricht nicht den mittlerweile ausdifferenzierten Handlungsfeldern, in denen unsere Absolvent*innen tätig sind. Sie findet man auch in Bereichen wie Gesundheit, Beruf und Bildung, der Arbeit mit älteren Menschen oder Migration und Integration.

Dieser Wandel verweist zugleich auf gesellschaftliche Veränderungen. Individualisierung, demografischer Wandel, Migrations- und Fluchtbewegungen, Klimaveränderungen sind Schlagwörter, die in diesen Zusammenhängen genannt werden. Sie verändern den Bereich des Sozialen nachhaltig. Wir erleben gerade eine Pandemie, die insbesondere diejenigen Menschen trifft, die ohnehin benachteiligt sind.

Dass das Gesundheits- und Sozialwesen eine der beschäftigungsstärksten Branchen in Österreich ist, liegt auch an den komplexen gesellschaftlichen Problemlagen, die leider nicht weniger werden. Hier steigt auch der Bedarf an akademisch gebildeten Sozialpädagog*innen.

Der Akademische Lehrgang Sozialpädagogik hat seit heuer ein neues Curriculum. Was sind die wichtigsten Neuerungen für die Studierenden?

Das Curriculum im akademischen Lehrgang ist ein Produkt eines kontinuierlichen Austauschs mit Expert*innen aus dem akademischen und beruflichen Kontext. Wir stellten uns die Frage : Was brauchen Sozialpädagog*innen, um Menschen in herausfordernden Zeiten bei der Bewältigung von Krisen und Problemen gut begleiten und unterstützen zu können?

Die Expertisen von Praktiker*innen, Lehrenden und Forscher*innen und die Rückmeldungen von Studierenden bzw. Absolvent*innen haben wir gleichermaßen berücksichtigt und ein Curriculum entwickelt, das eine gute Balance zwischen wissenschaftlichen und praktischen Kompetenzen aufweist.

Was bedeutet das für das Studium?

Entsprechend dem Nationalen Qualifikationsrahmen (NQR) sind diese Kompetenzen auf der Niveaustufe 6, also auf einer Ebene mit einem Bachelorabschluss, angesiedelt. Das Curriculum ist modularisiert sowie um Wahlmodule erweitert. Das ermöglicht individuelle Schwerpunktsetzungen.

Die Struktur des Weiterbildungslehrgangs erleichtert die Vereinbarung von Beruf, Familie und Studium. Hier setzen wir weiterhin auf eine Mischung aus Präsenz- und Fernlehre, mit der wir gute Erfahrungen gemacht haben. Unter den Bedingungen von Corona machen wir viel Distance-Learning. Die Umstellung ist uns gut gelungen, weil dieses Format für uns nicht unbekannt war.
„Veränderungen erfordern kontinuierliche Wissensaneignung.“

In mehreren Projekten beschäftigten sich Studierende der Sozialpädagogik in den vergangenen Jahren intensiv mit Themen der gesellschaftlichen Diversität. Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für die Sozialpädagogik in diesem Bereich?

Unsere Lehrforschungsprojekte sind ein Teil des Curriculums und fest in der Lehre verankert. Die Studierenden beforschen mithilfe qualitativer Forschungsmethoden und unter Anleitung zweier Projektleiter*innen gesellschaftlich aktuelle oder auch vernachlässigte Themen. Die Themen sind ebenso divers, wie das Feld der Sozialpädagogik selbst.

Um die Spannbreite etwas zu veranschaulichen, hier ein paar Beispiele von umgesetzten bzw. aktuellen Projekten: Inklusive Medienarbeit mit Menschen mit Behinderung, Bildung im Alter, Zugehörigkeit aus intersektionaler Perspektive, Chancen und Herausforderungen im Umgang mit Systemsprenger*innen und Care-Leavern.

Wir betrachten sozialpädagogische Forschungskompetenzen als einen wichtigen Teil der Herausbildung des professionellen Selbstverständnisses. Die Studierenden lernen nicht nur die aktuellen Entwicklungen kritisch-analytisch zu reflektieren, sondern auch auf dem aktuellen wissenschaftlichen Stand zu arbeiten.

Uns ist wichtig, dass die Forschungsergebnisse nicht in einer Schublade verschwinden, sondern an die Öffentlichkeit und die Praxis bzw. die beforschten Einrichtungen weitergegeben werden. Dies geschieht auf unterschiedlichen Wegen, auch durch den Wissenstransfer von Sozialpädagog*innen, die ihr empirisches Wissen und ihre analytischen Kompetenzen in ihre Handlungsfelder hineintragen.

Gesellschaftliche Wandlungsprozesse machen die sozialpädagogische Arbeit nicht nur spannend und abwechslungsreich, sondern erfordern eine kontinuierliche Wissensaneignung, zumindest im eigenen Handlungsfeld. Die Weiterbildungslehrgänge bieten dafür eine gute Grundlage.

Weiterführende Links

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