4 min

Crowdsourcing in der Neuproduktentwicklung

Costumer Experience Talk über Ideengenerierung und Ideenselektion in der Community

Beim CX-Talk sprach Expertin Rita Faullant über Crowdsourcing in der Neuproduktentwicklung.
Copyright: aau / photo riccio

Im Rahmen der Vortragsreihe „Customer Experience Talks“ wurde Rita Faullant, Direktorin M/O/T Management School der Universität Klagenfurt, als Vortragende begrüßt.

Unter Moderation von Dozentin Carina Wagner-Havlicek wurden aktuelle Forschungsergebnisse und Entwicklungen im Crowdsourcing-Prozess erörtert und danach gemeinsam diskutiert.

Innovation Contests als Ideengenerator

Nach einer einleitenden Definition des Begriffs „Crowdsourcing“ ging Expertin Rita Faullant im Rahmen ihres Vortrags vor allem auf die Funktionen „Ideengenerierung“ und „Ideenselektion“ im Zuge der Neuproduktentwicklung ein.

In diesem Zusammenhang spielen „Innovation Contests“ eine tragende Rolle. Der Ursprung für eine derartige Ideengenerierung wurde bereits 1714 gelegt. Im Zuge des „Longitude Act“ rief das britische Parlament einen Ideenwettbewerb aus, um den Längengrad auf hoher See bestimmen zu können. Das Resultat: Nicht die Astronomen, sondern ein Tischler aus der englischen Provinz konnte die Lösung liefern und wurde mit 20.000 Pfund belohnt.

Dieses Beispiel zeigt, dass durch die Ansprache einer breiten Community, auch der Lösungsspielraum erweitert wird und fachfremde Personen neue, interessante Blickwinkel liefern können.

Durch die Digitalisierung erhält dieser Prozess der gemeinsamen Problemlösung ganz neue Ausmaße. Auf der Broadcasting Plattform Innocentive beispielsweise können Unternehmen Problemstellungen einbringen, die in weiterer Folge von ausgewiesenen Expert*innen bearbeitet werden. So unterschiedlich wie die Disziplinen sind auch die Preisgelder, die dahinterstehen: Diese reichen von 5.000 Dollar bis zu 1 Million Dollar.

Ideenselektion: Die Community ist am Zug

Neben der Ideengenerierung spielt auch die Ideenselektion eine wesentliche Rolle beim Crowdsourcing in der Neuproduktentwicklung. Im Rahmen von Innovation Contests werden oft Tausende Ideen eingereicht, was die Selektion für Einzelpersonen oder Kleingruppen in Unternehmen äußerst schwierig macht. Aus diesem Grund werden systematische Prozesse eingezogen, um die Produktivität der Community zu nutzen.

Das Unternehmen LEGO verlässt sich beispielsweise im Rahmen von Design-Wettbewerben auf die qualitative Vorselektion seiner Crowd. Erst ab einer Anzahl von 10.000 Unterstützer*innen gelangt die Idee in ein offizielles Auswahlverfahren und eine professionelle Jury entscheidet, ob sich eine Umsetzung lohnt oder nicht. In diesem Fall wird der Kund*innenutzen allerdings bereits als sehr hoch eingestuft und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass das Produkt unter der LEGO Brand produziert und im Online-Shop des Herstellers verkauft wird.

Crowdsourcing Based Business Models

Unternehmen, die sich gänzlich durch Crowdsourcing-Modelle finanzieren, sind beispielsweise der T-Shirt-Hersteller Threadless und der IT-Anbieter Topcoder.

Beispiel Threadless

Threadless produziert Bekleidungsstücke mit Motiven, die ausschließlich von der Community entworfen werden. 2,5 Millionen Designer*innen – darunter Hobby-Künstler*innen, Freelancer*innen und Professionals – produzieren wöchentlich rund 1.000 Designs, die über ein Community-Voting in die Endauswahl gelangen. Die Letztentscheidung liegt bei der Jury, die am Ende die Entwürfe für die Produktion freigibt.

Beispiel Topcoder

Topcoder bietet individuelle IT-Lösungen für Unternehmen an, die über Ideen-Wettbewerbe generiert werden. Die Community ist groß: Über eine Million Mitglieder sind unter den „Topcodern“ vertreten. Viele dieser Topcoder haben keinen regulären Tagesjob, sondern programmieren ausschließlich für Topcoder auf Basis von Wettbewerben. Für Unternehmen, die Lösungen über Topcoder programmieren lassen, bedeutet dies meist schnellere, bessere und kostengünstigere Lösungen.  

Mittlerweile wurde das Geschäftsmodell ausgeweitet und Unternehmen können die Top-Programmierer*innen auch für einen bestimmten Zeitraum anstellen oder ein ganzes Projekt ausschreiben und ausführen lassen.

Management von Crowdsourcing: Wie tickt die Community

Doch wie bringt man die Community dazu, aktiv zu bleiben, wenn es nahezu unmöglich scheint, einen Innovation Contest zu gewinnen? Und welche Motivation verbirgt sich hinter dem erstmaligen Beitritt in eine Community?

Antworten liefert das Crowdsourcing-Management, welches den Prozess in 3 Phasen unterteilt:

Phase 1

Die erste Phase beschreibt die Entscheidung zur Teilnahme an einem Wettbewerb oder den Beitritt zu einer Community und die dahinterstehende Motivation.

Neben monetären Anreizen, sind vor allem die Anerkennung durch das Unternehmen (z. B. Nennung der Designer*in auf einem Produkt), die Bekanntheit des Unternehmens und dessen positives Image sowie der Status in der Community entscheidende Faktoren.

Durch das Sammeln von sog. Community Points kann man sich als angesehene*r Expert*in innerhalb der Community etablieren und die Interaktion in der Gruppe aktiv mitbestimmen. Auch die Möglichkeit von Profis zu lernen, sehen viele Mitglieder als wichtigen Benefit.

Betrachtet man Persönlichkeitsfaktoren sind vor allem die Offenheit für Neues und eine erhöhte Wettbewerbsorientierung ausschlaggebend für die Teilnahmeentscheidung.

Phase 2

In der zweiten Phase geht es um das Managen der sozialen Interaktionen.

Je lebendiger eine Plattform ist, desto mehr qualitativ hochwertige Ideen werden auch eingereicht.  Viele Teilnehmer*innen sind allerdings kaum aktiv oder nur als Beobachter*innen („lurker“) unterwegs. Um eine möglichste lebendige Community zu erhalten, werden die Teilnehmer*innen motiviert, sich gegenseitig auszutauschen, anderen Mitgliedern Verbesserungsvorschläge zu unterbreiten, und Ideen im Social-Media-Stil zu liken und kommentieren.

Diese Aktivitäten werden in der Regel mit Community-Points belohnt, die das Ranking und den Status in der Community positiv beeinflussen. Es herrscht also oft nicht nur ein Wettbewerb der besten Ideen, sondern auch der Social Activities in Ideen-Communities. Manchmal können dabei auch negative Dynamiken oder Hass-Postings entstehen. 

 Phase 3 

Was passiert nach dem Wettbewerb? Ein positives Teilnahmeerlebnis setzt sich meist weiter fort: Zufriedene Teilnehmer*innen interessierten sich auch für die finalen Produktkreationen und entwickeln eine positive Einstellung zur Marke, was oft der größte Benefit für das Unternehmen ist.

Entscheidender Faktor: Fairness

Ein entscheidender Faktor, der im gesamten Crowdsourcing-Management-Prozess eine Rolle spielt ist Fairness. Sobald dieser nicht gegeben ist, entfallen das Interesse am bzw. die Loyalität zum Unternehmen gänzlich.

Als wichtigste Komponente gilt hierbei die prozedurale Fairness. Dies bedeutet, dass der Entscheidungsprozess durch die Jury objektiv sein sowie nach klaren, transparenten Regeln abgewickelt werden muss.

Fazit: Crowdsourcing als wichtiges Geschäftsmodell

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Crowdsourcing in der Neuproduktentwicklung eine wichtiges Geschäftsmodell bildet. Durch die Community der Problemlöser*innen („solvers“) werden qualitativ hochwertige und heterogene Ideen generiert, die oftmals besser und günstiger als Inhouse-Produktionen sind.

Durch den starken Wettbewerb müssen sich die Mitglieder anstrengen, um ihren Community-Status zu steigern bzw. auf hohem Niveau zu halten. Andererseits profitieren aber auch weniger aktive Teilnehmer*innen von der Community, in dem sie sich mit anderen austauschen und von Expert*innen lernen können.

Unternehmen können wiederum ihr Image stärken, indem sie spannende und faire Ideenwettbewerbe ausrufen, die den Teilnehmer*innen in positiver Erinnerung bleiben.

Zum Customer Experience Talk

Die Customer Experience Talks werden von Harald Rametsteiner (Leiter Masterlehrgang Digital Marketing) gemeinsam mit Helmut Kammerzelt (Studiengangsleiter Marketing & Kommunikation) und Harald Wimmer (Studiengangsleiter Digital Marketing & Kommunikation) umgesetzt.

Die Vortragsreihe wird auch vom Digital Innovation Hub unterstützt. DIHOST wird vom Bundesministerium für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort, der FFG bzw. den Bundesländern Niederösterreich und Burgenland gefördert. Dieses Projekt unterstützt über drei Jahre Klein- und Mittelunternehmen bei der digitalen Transformation.