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Nachhaltigkeit in der DNA

Expertinnen Angelika Guldt und Kerstin Zimmermann im Gespräch über Nachhaltigkeit

Expertinnen Angelika Guldt und Kerstin Zimmermann im Gespräch mit Monika Koverova-Simecek über Nachhaltigkeit
Copyright: Leopold Neumayr

Angelika Guldt (Sustainability Communication Lenzing AG) und Kerstin Zimmermann (Sustainability Systems and Communication Lenzing AG) im Gespräch mit Monika Kovarova-Simecek (Studiengangsleiterin des Master Studiengangs Wirtschafts- und Finanzkommunikation):

Die Lenzing AG ist ein im Bereich der Nachhaltigkeit mehrfach preisgekröntes Unternehmen. Sie kennen die Nachhaltigkeitskommunikation der Lenzing AG seit 20 Jahren und haben sie in Ihren Funktionen wesentlich mitgestaltet. Wann und wie hat diese Erfolgsgeschichte begonnen?

AG: Eine eigene Nachhaltigkeitsabteilung gibt es bei Lenzing erst seit 2015. Aber die ersten Initiativen wurden bereits zu Beginn der 2000er-Jahre gesetzt. Da entstand, ausgelöst durch die sich damals häufenden externen Anfragen zum Thema Umwelt, die Idee, einen Umweltbericht zu machen. Wir haben aber schnell erkannt, dass Nachhaltigkeit mit unserem Rohstoff eigentlich der richtige, ganzheitliche Aufhänger ist. Und ich glaube, die ersten Publikationen zu dem Thema – Berichte würde ich es noch nicht nennen – haben viel zur externen wie auch zur internen Bewusstseinsbildung beigetragen.

Das Nachhaltigkeitsdenken entstand zuallererst durch die sehr aufwändige und erfolgreiche Sanierung der Umweltprobleme am Standort in Oberösterreich in den 80er-Jahren und entwickelte sich von dort aus insbesondere in den kundennahen Bereichen und im mittleren Management weiter.

Wie schätzen Sie den Stellenwert des Themas Nachhaltigkeit und der Nachhaltigkeitsberichterstattung bei Lenzing heute ein?

KZ: Dadurch, dass Holz unser wichtigster Rohstoff ist, haben wir Nachhaltigkeit quasi in der DNA. Wir haben sehr früh begonnen, das Thema als ein Differenzierungsmerkmal gegenüber den Konkurrenten und als einen Treiber zu sehen. Die ersten Berichte entstanden 2003, im Jahr 2008 initiierte Lenzing die erste Lebenszyklusanalyse für Fasern in der Branche. Das Thema genießt bei Lenzing also schon lange einen sehr hohen Stellenwert.

Was man aber doch auch gespürt hat: Mit der Einführung des NaDiVeG hat die Nachhaltigkeitsberichterstattung noch einmal einen anderen Stellenwert bekommen. Der Nachhaltigkeitsbericht ist jetzt mehr oder weniger gleichwertig mit dem Geschäftsbericht. Das ist in der Wahrnehmung, vor allem intern, schon ein großer Schritt gewesen.

Interpretiere ich es richtig, dass das mittlere Management und die Regulatoren die wesentlichen Treiber in der Nachhaltigkeitsberichterstattung sind? Gibt es auch andere Faktoren, die das Bewusstsein für Nachhaltigkeitsthemen erhöhen?

AG: Die Forderungen einer nachhaltigen Textilproduktion kommen schon sehr stark von der Kund*innenseite. Damit meine ich weniger die Spinnereien, sondern Markenproduzent*innen und Retailer. Zu diesen hat Lenzing im Lauf der Jahre eine gute Gesprächsbasis aufgebaut. Das war vor 20 Jahren noch nicht selbstverständlich. Heute spricht Lenzing mit führenden Unternehmen im Modebereich. Diese werden wiederum durch die Medien, die Arbeit der NGOs und das steigende ökologische und soziale Bewusstsein der Kund*innen getrieben und angehalten, sich mit Nachhaltigkeit in der Produktion zu beschäftigen.

Die Retailer bringen das Thema zurück in ihre eigenen Lieferketten. Der Druck kommt von außen und in Folge entstehen in der Industrie Multi-Stakeholder-Organisationen, die versuchen, auf die Kritik eine Antwort zu geben. Hier passiert sehr viel Fortschritt, die Normen und Werte fließen in die Einkaufspolicies der Retailer ein und haben für die Branche de facto Gesetzescharakter. In den letzten Jahren haben auch noch Investor*innen und Rating-Agenturen als wichtige Treiber an Bedeutung gewonnen.

KZ: In der Zwischenzeit ist das Thema Nachhaltigkeit auch in unserer Unternehmensstrategie verankert und Bestandteil des Reportings an den Vorstand und an den Aufsichtsrat. Das Thema wird vom Vorstand auch ganz stark vorangetrieben. Die Wahrnehmung des Top-Managements ist über die Jahre eine ganz andere geworden und fußt heute auf einer ganz persönlichen Überzeugung der Vorstände.

Darf man daraus ableiten, dass die angesprochenen Akteure auch diejenigen sind, an die sich die Nachhaltigkeitsberichte richten und an deren Informationsbedürfnissen und Erwartungen sich die Lenzing AG orientiert?

KZ: Grundsätzlich ja, wobei ich momentan die Investoren an erster Stelle sehe. Der NaDiVeG-Bericht ist ganz klar auf Investoren und ihre Bedürfnisse angepasst. Neben allen genannten sind die Berichte aber auch ein wichtiges Referenzwerk für unsere Mitarbeiter*innen, weil sie darin abgestimmte und verifizierte Aussagen finden, auf die sie sich jederzeit berufen können.

AG: Es ist uns ein Anliegen, dass das Thema Nachhaltigkeit in allen Funktionen des Unternehmens integriert wird. Intern haben die Berichte sicher zu einem Bewusstseins- und Kulturwandel geführt, insbesondere in den letzten drei Jahren. Zu Beginn hat die Nachhaltigkeitsabteilung das Thema unter die Kolleg*innen getragen. Das hat sich gedreht. Mittlerweile kommen die Kolleg*innen mit Themen zu uns und es findet ein sehr intensiver Austausch zu Nachhaltigkeitsthemen statt – auf allen Ebenen.

Wenn ich es richtig sehe, spielt der Nachhaltigkeitsbericht in diesem Prozess eine Schlüsselrolle. Sprechen wir kurz über den Bericht an sich, der derzeit als eigener Bericht publiziert wird. Warum diese und keine integrierte Lösung?

KZ: Wir schauen uns natürlich genau an, ob ein integrierter Bericht zukünftig vorteilhaft für Lenzing sein kann. Derzeit ist der Nachhaltigkeitsbericht als ein Zwilling des Geschäftsberichts zu sehen. Das sieht man am Layout, an der Struktur, an der Erscheinungsfrequenz. Ein eigener Bericht wird stärker wahrgenommen, das Thema bekommt dadurch mehr Gewicht. Gleichzeitig ist der Nachhaltigkeitsbericht Teil einer ganzheitlichen Kommunikationsstrategie. Wenn Sie sich die Themen der Lenzing AG in den Social Media ansehen, dann dominiert mit rund 80 Prozent klar das Thema Nachhaltigkeit. Dass wir hier auf einen eigenen Bericht verlinken können, ist ein Vorteil.

AG: Speziell der letzte Bericht zeigt, dass die Themen Business und Nachhaltigkeit eng verzahnt sind. Die beiden waren bei uns, eben durch den Rohstoff, immer schon ein gemeinsames Thema, aber sie haben sich jetzt auch in der öffentlichen Darstellung immer mehr angenähert. Und es spiegelt natürlich auch, dass das Nachhaltigkeitsargument bei Kund*innen derzeit fast am gewichtigsten ist. Natürlich gibt es immer noch Qualität und Preis. Aber wenn es um zusätzliche Argumente geht, dann ist Nachhaltigkeit eindeutig das absolute Thema Nummer eins.

Die Digitalisierung hat auch die Frage nach dem richtigen Berichtsformat ins Rollen gebracht. In der Außenwahrnehmung fällt auf, dass die Lenzing AG stark auf digital setzt. Wird Reporting künftig nur mehr digital sein (können)?

KZ: Der Nachhaltigkeitsbericht erscheint digital und in einer Printversion. Allerdings muss man sagen, dass wir dieses Jahr die Auflage verringert  haben und, ja, stärker auf die digitale Version setzen, was ja auch mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Aber zurzeit ist es aufgrund der Vielfalt der Zielgruppen notwendig, beide Schienen zu fahren.

Wie läuft die Prozesserstellung ab? Dominiert hier auch das Digitale ganz nach dem Motto "online first"?

KZ: Wir arbeiten mit einer PDF-Version. Das PDF ist die Basis für die Druckversion. Es wird aber auf Grund der Regelung, die es zur Hauptversammlung gibt, als Erstes das PDF auf der Website veröffentlicht. Daraus wird dann die Druckversion gemacht, die unterscheidet sich aber nicht von dem PDF-Bericht, der online steht.

Wenn Sie den Bericht mit anderen Unternehmen vergleichen: Wo sehen Sie Ihre Stärken und umgekehrt: Wo sehen Sie noch Luft nach oben, was wünschen Sie sich in Zukunft anders oder besser?

KZ: Die Vergleichbarkeit der Nachhaltigkeitsberichte ist derzeit aufgrund der gegebenen Standards etwas schwierig. Es gibt viele Grauzonen, Auslegungsspielräume, die Definitionen der Standards stimmen mit den länderspezifischen Definitionen nicht überein. Wenn GRI von "waste" spricht, dann bedeutet es in Indonesien etwas anderes als in Tschechien. Also auch wenn mehrere Unternehmen nach GRI berichten, sind die Berichte nicht vergleichbar. Jedes Unternehmen setzt andere Schwerpunkte. Eine höhere Standardisierung innerhalb und zwischen den Standards, ähnlich wie beim IFRS, wäre hier bestimmt hilfreich, auch im Hinblick auf die entsprechenden KPIs.

Was heuer neu dazugekommen ist, sind die Management Approaches für jedes wesentliche Thema. Da sind wir eines der ersten Unternehmen. Das ist auch sehr gut angenommen worden.

AG: Das hat sich eigentlich geschichtlich geändert. Angefangen haben wir mit Storytelling, im Zuge der verpflichtenden Berichterstattung bzw. den Vorgaben des GRI ist das Storytelling aber ein bisschen abhandengekommen. Wir arbeiten aber gerade intensiv an anderen Publikationen, die das ausgleichen sollen. Denn ich denke, das ist es, was unsere Berichte so gut macht: dass wir es schaffen, die Verknüpfung zwischen Business und Nachhaltigkeit glaubhaft darzustellen.

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